Das Leid vor unserer Haustür

“Wo wurden die Aufnahmen gemacht?” Immer wieder erreicht uns diese eine Frage, wenn wir eine neue Undercover-Recherche veröffentlichen. Immer wieder treffen wir auf Ungläubigkeit, wenn wir sagen: Das ist eine Tierhaltung in Deutschland, vielleicht sogar in einem Nachbarort von Dir. Dass es hier direkt vor unserer eigenen Haustür so schlimm aussieht, Tiere gequält und getötet werden, übersteigt die Vorstellungskraft vieler. “Müsste man dann nicht mehr mitkriegen?”, fragen sich einige. “Ist es nicht nur woanders schlimm?”, vermuten andere. Denn schlimm sei es doch vor allem im Ausland.

Doch die Tierindustrie in Deutschland ist durchsetzt von ganz grundsätzlichen, strukturellen Problemen, die viel Tierleid verursachen.
Gesetze, die Tiere nicht schützen
Wie Tiere in Deutschland gehalten werden dürfen, wird in Haltungsverordnungen gesetzlich geregelt. Dazu zählen beispielsweise die Regelungen für Platz, Zugang zu Wasser und Futter, Belichtung und Belüftung. Ein Beispiel: Einem Schwein, das bis zu 100 Kilogramm wiegt, hat gerade einmal 0,75 Quadratmeter Platz zur Verfügung. Der Boden besteht dabei aus sog. Vollspalten, ein harter Betonboden mit Löchern, durch die Kot und Urin fallen sollen. Kaninchen dürfen in Deutschland völlig legal in kleinen Gitterkäfigen gehalten werden, die sich in die Pfoten der Tiere drücken. Wassertiere wie Enten werden in der Regel ohne Zugang zu Wasser, stattdessen in großen Hallen mit tausenden weiteren Tieren eingesperrt. Für einige Tierarten gibt es nicht einmal Haltungsverordnungen und damit keine Mindestbestimmungen – beispielsweise für Puten.
Alle diese Tiere haben grundlegende Bedürfnisse: Sie wollen Futter suchen, soziale Beziehungen zu kleinen Gruppen von Artgenossen eingehen, sich zurückziehen können und ihren Nachwuchs großziehen. Nichts davon ist unter den – legalen! – Bedingungen der Tierhaltung in Deutschland möglich. Anstelle der Tiere und ihrer Interessen steht vor allem eines im Mittelpunkt: Geld. Die Haltungsbedingungen werden letztlich am größtmöglichen Profit bei massenhafter “Produktion” ausgerichtet, während das Tierleid auf das gesellschaftlich geradeso noch akzeptierte Maß eingedämmt wird.
Als wäre es nicht schlimm genug, wie die Tiere gehalten werden, werden Tiere regelrecht für die Industrie zurechtgeschnitten: Schnäbel werden gekürzt, Hörner entfernt, Ringelschwänze kupiert, Ferkel kastriert. Einige der Verstümmelungspraktiken werden zwar nun endlich abgeschafft – doch dauert es in der Regel Jahrzehnte, bis ein solches Gesetz beschlossen wird und wirklich ausnahmslos gilt.
Wenn Kontrollsysteme in der Massentierhaltung versagen
Soweit zu dem, was aus rechtlicher Sicht umgesetzt werden darf. Ob diese Gesetze in der Tierhaltung eingehalten werden, wird in der Praxis durch Veterinärämter kontrolliert – theoretisch. Denn Betriebe brauchen im Prinzip nichts zu befürchten: Im Durchschnitt findet eine Kontrolle von Mastanlagen nur alle 17 Jahre statt. Dabei werden gerade Bundesländer mit einer besonders hohen Dichte an Tierhaltungsbetrieben sogar noch seltener kontrolliert.(1) Und nicht immer führt eine Kontrolle trotz Missstände tatsächlich zu Konsequenzen, wie Untersuchungen gezeigt haben. (2, 3)
Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass wir in unseren Undercover-Recherchen immer wieder massive Gesetzesverstöße dokumentieren: Tiere, die in ihren eigenen Exkrementen leben müssen, überfüllte Ställe und grausame Tötungspraktiken sind nur einige Beispiele.
In solchen Fällen informieren wir nicht nur das Veterinäramt, sondern stellen auch Strafanzeige gegen den jeweiligen Betrieb. Leider führt das so gut wie nie zu einer Verurteilung der Täter*innen. Haarsträubende Begründungen wie, man könne nicht wissen, ob eine “sachgerechte” Tötung außerhalb der Videoaufnahme noch stattgefunden haben könnte, wenn zuvor Ferkel zur Tötung auf den Boden geschlagen wurden, machen uns immer wieder fassungslos.
In Schlachthöfen sind zwar dauerhaft Veterinär*innen eingesetzt, jedoch sind diese in vielen Fällen nicht unabhängig genug, sie haben zu wenig Einfluss oder stehen selbst unter dem in vielen Schlachthöfen herrschenden Druck. Und so werden hier – unter den Augen der Kontrollinstanz – Tiere getötet, die nicht richtig betäubt sind oder krank zum Schlachthof gebracht wurden.
Angezüchtetes Leid: Qualzucht
Das Tierleid beginnt aber nicht erst in der Haltung, dem Transport und der Tötung der Tiere. Hühner, Rinder, Schweine und all die anderen sog. “Nutztiere” werden speziell gezüchtet – für maximalen Profit. So sind Hühner in der Eierindustrie darauf optimiert, möglichst viele Eier zu legen, während Hühner in der Mast möglichst schnell zunehmen sollen. Dabei wird in Kauf genommen, dass diese Züchtung schon Leiden und Krankheiten verursacht: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fehlstellungen, Knochenbrüche, Entzündungen – all das sind Folgen der Überzüchtung.
Keine Ausreden mehr
Die Überzüchtungen, die nicht zu akzeptierenden Bedingungen, unter denen Tiere leben müssen, die fehlenden Kontrollen zeigen: Tierleid findet systematisch direkt vor unser aller Augen – in der Tierhaltung in Deutschland – statt, nicht (nur) anderswo. Die Schuld ins Ausland zu verschieben, nur auf die anderen zu zeigen und sich nie selbst in der Verantwortung zu sehen, ist am Ende nur eine Strategie, um sich selbst besser zu fühlen und weiterzumachen wie bisher. Doch es sind nicht nur die anderen, die etwas ändern können, sondern die Veränderung beginnt mit Dir. Und sie kann heute beginnen!
Mach einen Unterschied – probier es vegan!
(1) Deutscher Bundestag (03.07.2018): Vollzug von Tier- und Verbraucherschutzrecht.
(2) Johanna Hahn, Prof. Dr. Elisa Hoven (Hrsg.) (2022): Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft.
(3) Utopia, Katharina Schmidt (11.07.2022): „Mit Truthähnen Fußball gespielt“: Wieso Tierquälerei selten bestraft wird.